Liebe Leserinnen, liebe Leser,
ich habe die letzten zwei Monate meinem Arbeitsplatz fern bleiben müssen und dabei versucht, gründlich zu überlegen, wie es weitergehen soll/kann. Eine fiese Krankheit, die alles in die Luft sprengt, die keine Regeln, Normen, Grenzen kennt.Auf einmal ist alles anders, als es war, auf einmal denkt man nicht mehr an „was und wie“, sondern an „ob und wann – wenn überhaupt“ … „Es war knapp, aber ich habe es geschafft“, hätte ich dazu noch anmerken wollen …
Dass die schlimmste Niederlage als Sieg verkauft wird,meist erfolgreich, steht natürlich in Zusammenhang mit den Herrschaftsstrukturen und – kulturen aller Zeiten. Genauso wie die Tatsache, dass sich hinter einem gewaltigen Sieg oft eine verdammt große Niederlage versteckt, nicht nur zur Kunst unserer Tage gehört.
Kommerzialisierung Literatur und Kunst
Was aber kann ich als Kleinverleger, der sich Sorgen um sein sowieso bedrohtes Unternehmen macht, damit anfangen? Ich kenne keine Statistik, in der die heutige Verlagslandschaft nach Zahlen sortiert wird, denke aber, dass es hier ähnlich aussieht wie auf
dem„freien Markt“, wo immer weniger „Mega-Unternehmer“ einen immer größeren Anteil des Gesamtumsatzes erwirtschaften. Das wundert mich genauso wenig wie die Tatsache, dass in den Literatur-Bestsellerlisten kein einziger Nobelpreisträger zu finden ist, während gleichzeitig jeder X-Beliebige, der ein paar Seiten geschrieben hat, von unzähligen „Dienstleister-Verlagen“ gegen Zahlung veröffentlicht wird. Hinzu kommt der ganze Müll, der das Internet überschwemmt, sodass der Leser kaum noch eine Möglichkeit hat, diese ausufernde Produktion zu sortieren, um an jene Literatur heranzukommen, die diesen Namen wirklich verdient. Gegen die Aggressivität und Arroganz solch kosten- wie bodenloser Angebote, die sich selbst als demokratisch verstehen, ist leider immer noch kein Kraut gewachsen.
Leben von, nicht für die Literatur
Und mittendrin: die Autoren, die noch hoffen, entdeckt zu werden, und diese Welt nicht mehr verstehen, wenn etwa während eines Festakts ein paar Lieblinge der Massenmedien mit ein paar Kulturfunktionären vor ein paar hundert Zuschauern, Vertretern der Presse, der Radio- und Fernsehsender plaudern und sich einen Ehrentitel daraus basteln, dass sie sich nicht erinnern können, in den letzten Jahren ein Buch gelesen zu haben, selbst wenn sie ihren Job und Ruhm eigentlich einer Buchpublikation verdanken. Mehr noch, dass sie in der Lage seien, viel mehr fürs Buch zu tun als jene, die täglich lesen. Klar könnten sie mehr tun, weil sie am Zapfhahn mitdrehen, während die anderen nicht einmal hinschauen dürfen. Ob das so in Ordnung ist, lasse ich jeden für sich beurteilen. Ich frage mich aber, wieso ausgerechnet solche „Funktionäre“ in der Lage sein sollten, einemKind oder Jugendlichen zu erklären, wie wichtig die Literatur für sein Leben ist. Und wie ein Kleinverleger die Literatur seiner Autoren bekannt machen kann, wenn die möglichen Rezipienten andauenrd von einem professionell organisierten medialen Lobby-Chor beschallt werden? Und was ein Kleinverleger tun kann, wenn einer seiner Autoren endlich von einem „richtigen“ Verlag – der ihn jahrelang ignoriert hat – unter Vertrag genommen wird? Natürlich freue ich mich, ich weiß, er wird dort bessere Vermarktungsbedingungen haben, aber das hilft mir nicht. Im Gegenteil, ich verspiele damit e
ine Chance.
Konsumkultur statt Qualitätsliteratur
Das System ist pervertiert und absurd. Das erinnert mich an die warnenden Worte einiger Persönlichkeiten dieses Landes bei der Einführung privater Fernsehsender: „Wir dürfen nicht in Gefahren hineintaumeln, die akuter und gefährlicher sind als die Kernenergie“ (Helmut Schmidt), „Für schöpferische Zeitgenossen sehe ich keine Chance“ (Günter Grass) oder „Ich kannmir nichts Gefährlicheres für die Familie vorstellen“ (Hans-JochenVogel).
Die Menge anmerk/fragwürdiger „Konsumkultur“, die von den diversen Medien und Lobbys angeboten wird, macht mich krank. Das viele Geld macht alles kaputt – es geht schon lange nichtmehr umLiteratur, sondern um Marketing und Branding. Andererseits macht auch das fehlende Geld alles kaputt. Der Verleger, der sich, statt eine eigene Haltung zu entwickeln, nach den Regeln von Konsumgesellschaft und Kapitalakkumulation verhält, scheint aber immerhin eine Chance zu haben, irgendwann a
uch gute Literatur zu veröffentlichen. Doch was in der Wirtschaft und im Sport funktioniert, passt nicht unbedingt für Geschäftsleute, die das Buch als gewinnbringendes Objekt entdeckt haben.Und das ist unsere Chance.Wir, die Verrückten, die von vornherein ohne merkantile Hintergedanken die Literatur als Hauptziel unseres Geschäftsmodells gewählt haben, können davon profitieren.Auch wenn dieser „Profit“ u. a. mit dem Verzicht auf einen großen Teil des Privatlebens, mit (Selbst-)Opferbereitschaft und Geduld verbunden ist. Dazu gehören natürlich auch eine eindeutige Gesetzeslage, die unsere Politiker uns immer noch schuldig geblieben sind, sowie eine Instanz, die in der Lage wäre, die kleinen und großen Gauner, dieAutorenrechte missachten (von Google über NSAbisAmazon & Co.), zu zwingen, die Spielregeln, insbesondere das Copyright, zu respektieren. Sonst ist, auf gut Deutsch, alles nur geklaut oder, mit Dylan gesprochen, „blowing in the wind“.
Gemeinsam für die Literatur
Ehrlich gesagt, habe ich aber andere Probleme.Was für mich momentan am wichtigsten ist, heißt überleben – wie auf allen anderen Märkten notwendig, muss auch ein Kleinverleger zuerst die Überlebenskunst lernen. Dazu gehören, neben guten Autoren und einem guten Mitarbeiter-Team, vor allem SIE, liebe Leserinnen und Leser, weil alles, was wir tun, erst durch Sie, durch Ihr Interesse lebendig wird. Ohne Sie wäre alle Mühe umsonst, da zumindest ich nie von einer sogenannten geschlossenen Gesellschaft geträumt habe, auch wenn einige wichtige literarischeWerke auf den ersten Blick nur für einen kleinen Kreis von Lesern geschrieben zu sein scheinen. Diese übrigens wunderbaren Autoren haben einfach die Zeiten überdauert. Deswegen bitte ich Sie, uns an der Qualität unserer Beiträge zu messen. Auch werden wir versuchen, unsere Erscheinungstermine einzuhalten und gleichzeitig unser Erscheinungsbild zu erneuern. Dazu brauchen wir aber auch Sie und ich kann Ihnen nur versichern, dass wir uns sehr freuen, wenn Sie uns Ihre Wünsche oder V
orschläge mitteilen.
Bedroht: Sorbische Kultur
Die sorbische Dichtung und Kunst rückt erneut ins Augenmerk unserer jetzigen Ausgabe. Denn nicht nur ihre Geschichte – vom ältesten erhaltenen sorbischen Text (Bautzener Bürge
reid, 1532) über die Reformation, die den Beginn der sorbischen Literatur markiert, und die Entwicklung des Nationalgefühls im 19. Jahrhundert bis zur Unterdrückung während des Nationalsozialismus oder der Förderung im Sinne des „Aufbaus d
es Sozialismus“ zu DDR-Zeiten –, sondern vor allem ihre Bedeutung für die deutsche Kulturlandschaft gehört immer wieder hervorgehoben, in der Hoffnung, dass unsere Angst um das sorbische Kulturerbe auch die Politiker sensibilisieren wird. Nicht wenige heutige Abgeordnete haben einst gegen die Zerstörung von Orten und Kulturen in der damaligen DDR, in der Ukraine, in Polen, in Rumänien etc. aufbegehrt. Doch genau das passiert jetzt in einem Teil Deutschlands. Man könnte sagen: Was die Kommunisten nicht komplett zugrunde gerichtet haben, erledigen nun die „vereinten demokratischen Kräfte“. Sogar im Bereich Klima- und Naturschutz. Des
wegen veröffentlichen wir zwei Briefe, die vor kurzem von besorgten Repräsentanten der sorbischen Minderheit an Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie an Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel geschickt wurden. Und gerne würden wir in einer der nächsten Ausgaben auch deren Reaktionen darauf publizieren.Wir hoffen, dass dieser Appell
gehört und richtig verstanden wird – genauso wie 1988, als es um die Erhaltung osteuropäischen Kulturgutes ging. Mehr über den damaligen Protest können Sie in unserer nächsten Ausgabe erfahren.
Qualität in der Vielfalt
Unser Schwerpun
kt liegt diesmal auf den USA: Thomas Lux. Kein Autor,
der die Leser „auf seine Seite ziehen möchte, der eine umfassende Weltsicht oder gar ein literarisches Programm zu verkünden hätte, sondern einer, der sich von derWirklichkeit, so wie sie wirklich ist, nicht unterjochen lässt und den Leser automatisch dazu ermuntert, es ihm gleich zu tun“ (Stefanie Golisch).
Diese Doppelausgabe schmückt sich mit Werken von und über Mohammed Bennis, Fouad El-Auwad, den syrischen Dichter Adonis, Jewgenij Jewtuschenko, Ulrich Bergmann, Francisca Ricinski, Kira Iorgoveanu-Mantsu, Theo Breuer, Heinz Küpper, J. C. C. Bruns, Lutz Rathenow, Reiner Kunze, Andreas Noga, Julietta Fix, Harald Gröhler, Peter Ettl, Adelheit Szekeresch, Steliana Huhulescu, Thomas Brandsdörfer, RainerWedler, Julia Schiff, Robert Schiff, Elke Engelhardt, Sabine Bentler und EvaWieting, um nur einige zu nennen. Und unsere Debütanten Annabell Jimenez und Melanie Hassel stellen eine frische, vielversprechende Prosa vor.
Fred Viebahn schreibt uns wieder aus den USA über einen „neuen Star am Firmament der amerikanischen Politik“ und natürlich fehlen auch diesmal die Rezensionen nicht: Theo Breuer, Elke Engelhardt,Wolfgang Schlott,Gabriele Frings,Barbara Zeizinger,RainerWedler, LutzRathenow, Uli Rothfuss und Christoph Leisten haben für Sie einige an die Redaktion geschickte Bücher sorgfältig unter die Lupe genommen. Nicht zuletzt sei auf Uli Rothfuss und Ulrich Bergmann verwiesen, die für uns die Künstlerin Daniela Papadia bzw. die Biennale 2013 in Venedig besucht haben. Die Berichte können Sie in der Rubrik „Kunstparkett“ ab S. 300 Eine angenehme, spannende Lektüre – und ein gutes Jahr 2014!
Ihr Traian Pop
Es signiert:
• Stefanie Golisch • Thomas Lux • Klaus Martens • Thomas Lux • Lee Brewer • Mohammed Bennis • Fouad El-Auwad • Fouad El-Auwad • Jewgenij Jewtuschenko • Ulrich Bergmann • Ulrich Bergmann • Francisca Ricinski • Kira Iorgoveanu-Mantsu • Theo Breuer • Theo Breuer • Willi F. Gerbode • Marc Behrens • Fred Viebahn • Lutz Rathenow • Ulrich Bergmann • Andreas Noga • Julietta Fix • Harald Gröhler • Peter Ettl • Adelheit Szekeresch • Steliana Huhulescu • Thomas Brandsdörfer • Rainer Wedler • Julia Schiff • Robert Schiff • Elke Engelhardt • Sabine Bentler • Eva Wieting • Annabell Jimenez • Melanie Hassel • Elke Engelhardt • Barbara Zeizinger • Wolfgang Schlott • Gabriele Frings •Uli Rothfuss • Christoph Leisten •