In absehbarer Zeit könnte die Welt anders aussehen, das heißt „erdoganisiert“, um einen guten Freund aus der Türkei zu zitieren. Nur hat mein Freund damals an eine „erdoganisierte“ Minderheit gedacht, heute geht es um eine übergroße erdoganisierte Mehrheit, eine antikritische und antidemokratische Mehrheit, die sich gegen alle Minderheiten wendet.
Vordem undenkbar, entfaltet sich heute eine konservative Revolution gegen alle zivilisatorischen Werte. All dies ist eingebettet in der sogenannten postfaktischen Ära. „Die Toten haben damit begonnen, sich zu fürchten“, hat ein rumänischer Dichter in Zeiten des faschistoiden Kommunismus geschrieben. Was würde er heute schreiben?
Können wir überhaupt etwas gegen diese trügerische „Normalität“ unternehmen? Können wir es uns leisten zu schweigen, uns nicht einzumischen? Das ginge nur, wenn sich die demokratischen Kräfte fest zusammenschlössen. Dagegen sehe ich nur Feigheit, Kollaboration und dumpfe Gleichgültigkeit. Ich setze aber große Hoffnungen in Künstler, Schriftsteller und Denker, in eine Elite im gramscianischen Sinn. Ich träume von einer aufgeklärten Jugendrevolte gegen die Welt, die eigentlich ihr gehören soll. So gesehen fühle ich mich noch immer jung.
Das Gedicht „Zehn Verbote“ von Theo Breuer spiegelt auf frappierende Weise die augenblickliche Situation in der Türkei Erdogans. Viele Texte dieser Ausgabe passen wie bestellt zu diesem Problemfeld.
„Ich habe zu Max Zanders Gedichten nie etwas geschrieben“, schrieb mir der Autor der „Zehn Verbote“, als ich eine „Umfrage“ zu Zander gemacht habe. Und Breuer weiter:
„Wir haben seit vielen Jahren etwa einmal im Monat stundenlange telefonische Literaturgespräche geführt. Wenige Wochen vor seinem Tod wollte ich – gleichsam außer der Reihe – über die Möglichkeit einer ihm gewidmeten Matrix-Ausgabe sprechen, wozu es allerdings nicht einmal ansatzweise kam. Es ging ihm gesundheitlich schlecht, und er meinte:
,Theo, ich rufe Dich an, sobald es mir besser geht.‘ Das war oft so gewesen in den letzten Jahren, und ich wünschte ihm, nicht ahnend, dass es das letzte Mal war, dass wir miteinander sprachen, gute Besserung. Das war‘s. Zwei Wochen später erhielt ich die Nachricht vom Tod meines Freundes Maximilian Zander. Umso mehr freue ich mich, dass Du diese Ausgabe nun machst.“
Maximilian Zander, der uns mit seinen Gedichten und Aphorismen seit Jahren begleitet, hat mir mehrmals Autoren vorgeschlagen für den Schwerpunkt der einen oder anderen Ausgabe. Eine davon habe ich quasi persönlich genommen, aber der vorgeschlagene Autor wollte nichts davon wissen und drohte mir die Redaktionskreis zu verlassen, falls etwas in der Richtung unternehme. Über eine „Zander“ Ausgabe traute ich mich nie, ihn anzusprechen.
Jetzt liegen die Reisenden / in getrennten Schachteln / mit gewaschenen Händen / mit dem Rücken zur Nacht.
Mir bleibt nur festzustellen, dass er etwas geahnt hat und eine solche Besprechung vermeiden wollte.“
„Ich habe die poesie erfunden und habe kein herz mehr“ schrieb Virgiel Mazilescu, ein zeitgenössischer im deutschsprachigen Raum wenig bekannter rumänischer Dichter. Ruxandra Niculescu, eine gute Kennerin der rumänischen Literaturszene, hat für uns 25 Texte Mazilescus ins Deutsche übertragen.
„Es mag sein, dass Poesie nicht den realen Nutzen im Auge hat, doch sie kann der Welt Frieden und Hoffnung geben.“ Hadaa Sendoo sagt uns damit nichts Neues: neu und frisch dagegen ist die Art, wie es der berühmte mongolische Dichter sagt. Maya Gogoladse sprach für uns mit dem Autor. Andreas Weiland hat einige Gedichte Hadaas Sendoo für die MATRIX ins Deutsche übertragen.
Joachim Britze stellt uns den georgischen Autor Micho Mosulishvili vor.
Josef Balazs denkt über unseren Mitstreiter Horst Samson nach und stellt ihm vor einem interessierten Publikum elf Fragen, siehe S. 117ff. das “Nürnberger Interview”.
Ulrich Bergmann bringt uns das heutige China näher, indem er uns den Sinologen und Poeten Wolfgang Kubin vorstellt.
Im Atelier finden sich Beiträge von Klaus Martens, Marius Koity, Dieter Beck, Ruxandra Niculescu, Peter Ettl, Norbert Sternmut, Rainer Wedler und Dorothea Šołćina.
Gleich zwei Debütantinnen können wir vorstellen: Justyna Michniuk (Jetzt bin ich eine Europäerin, in Polen geboren / trage Schwarz, weil ich ewig trauere / um die verlorene Identität / Ich kenne zwar fünf Sprachen / in keiner aber kann ich ausdrücken / wie sehr ich von der Wirklichkeit enttäuscht bin) und Jîn Musa (da werden sich Wille / und Freiheit ergeben / wie die Blätter / dem Wind / du wirst es spüren bis in die Adern / da ich es lebe).
Matthias Hagedorn, Wolfgang Schlott, Uli Rothfuss und Holger Benkel besprechen Neuerscheinungen von A.J. Weigoni, Hans Bergel / Manfred Winkler, Thomas Brock, Holger Benkel, Sylvain Tesson, Gudrun & Karl Wolff, Edith Ottschofski, José Samarago, Ulrich Bergmann, Mani Matter und Roland Kaehlbrandt.
Traian Pop
Es signiert:
• Frank Milautzcki • MaximilianZander • Bericht zur Lage • Peter Ettl • Theo Breuer • Josef Balazs • Virgil Mazilescu • Barbara Zeizinger • Horst Samson • Klaus Martens • Giuseppe Pontiggia • Hadaa Sendoo • Rainer Wedler • Micho Mossulischwili • Uli Rothfuss • Marius Koity • Dieter Beck • Ruxandra Niculescu • Norbert Sternmut • Holger Benkel • Dorothea Šołćina • Ulrich Bergmann • Die Monde der gelben Mitte • Matthias Hagedorn • Wolfgang Schlott • Christine Kappe • DEBÜT: Justyna Michniuk • Jîn Musa