Short story der kanadischen Lyrik hieß der Hauptteil unserer letzten Ausgabe, der in einer kleinen, aber feinen Auswahl von Andrew Goldthorp und Stefanie Golisch englischsprachige Autoren aus Kanada vorstellte. Vertreten war, wie denn sonst, auch Margaret Atwood. Inzwischen wurde sie zur diesjährigen Trägerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels gewählt. In der Begründung des Stiftungsrats heißt es u. a.: „Die kanadische Schriftstellerin, Essayistin und Dichterin zeigt in ihren Romanen und Sachbüchern immer wieder ihr politisches Gespür und ihre Hellhörigkeit für gefährliche unterschwellige Entwicklungen und Strömungen.“
Dass unser Mitarbeiter Klaus Martens eine besondere Beziehung zur Atwood-Dichtung hat, ahnte ich, als wir uns über mögliche Nobelpreisträger für Literatur 2018 unterhalten haben. Nun bin ich mir sicher – und auch Sie können es anhand seines Beitrags nachvollziehen: „Atwood hatte mich als Leser ,an der Angel‘, ,am Haken‘. I was hooked. Das war’s schon. So knapp, so viel. Ein Liebesgedicht? Atwoods kleines Buch Power Politics stellt die Machtfrage im interpersonalen Bereich, so bereits hier am Anfang. Passen wir zusammen?, ist die Frage an den Partner. Passen wir ineinander wie der/dein (Kleider-)Haken in ein Knopfloch, ein Angelhaken in ein Auge? Werde ich wie ein Fisch ins Außen gezogen? Ein Fischhaken in meinem geöffneten Auge? Bedeutet dies die Liebesaufnahme, die Verbindung von zwei Personen als schmerzhafte, ja tödliche Gefangennahme bei vollem Bewusstsein? Der Liebesakt als Tötung.“ (Klaus Martens)
Ich geh, ich krieche / zum Grubenrand: / Was ist dir, Bruder / du steckst bis zum Hals / schon im Sand // Er spricht von unten: / Es ist so kalt, so dunkel / hier in der Grube. / Habt ihr es oben / warm in der Stube? (Es ruft aus dem Dunkel da unten, Kito Lorenc)
„Menschen sind Wesen, die sich nicht in schön gerahmte Bilder pressen lassen; jedenfalls nicht in den Gedichten von Kito Lorenc, der am 24. September 2017 im 79. Lebensjahr unverhofft in Bautzen verstorben war. Schon 1965 zeichnete der damals junge Literat aus der Lausitz im Gedicht Aber wenn ihr weint… ein poetisches Menschenbild, welches nicht nur den eckigen oder runden Rahmen des ,sozialistischen Realismus‘ sprengte.“ (Benedikt Dyrlich)
Über die Bereicherung der Weltliteratur durch Kito Lorenc wird wahrscheinlich erst demnächst richtig und laut gesprochen. Wir wollen in dieser Ausgabe mit einigen Texten sowie einigen Gedanken von Elke Erb und Benedikt Dyrlich an den verstorbenen Dichter erinnern.
Georgien wird nächstes Jahr Gastland auf der Frankfurter Buchmesse sein. Unser Wunsch, Ihnen einige herausragende Vertreter dieser Literatur zu präsentieren, ist immer noch so stark wie vor ein paar Jahren, als wir die ersten georgischen Autoren vorgestellt haben. In der vorliegenden Ausgabe ist es Guram Assatiani, „ein wahrer Ästhetiker und ein fantasievoller Literat vom Scheitel bis zur Sohle“, wie er von einem Kollegen charakterisiert wurde. So liebte man in Georgien, einen seiner bekanntesten Texte dort, haben wir für Sie, liebe Lesbierinnen und Leser, übersetzen lassen.
„Ihr Versuchsfeld für eine neue Gesellschaft stand auf dem Spiel. Indem die Hippie-Hochburg durch Außeneinwirkung immer
kaputter und zugleich kommerzieller wurde, kam es in der Allgemeinheit und selbst in der liberalen Jugendszene zu einem starken Imageverlust der Hippies. Dagegen wurden in den Medien die Kleidung und die Musik der Hippies zum gefeierten Modetrend. Anlass für die Begründer der Hippie-Bewegung, am 6. Oktober 1967 in San Francisco den Hippie symbolisch zu Grabe zu tragen. Der Sarg war angefüllt mit zwei Kilo Marihuana, Postern, Buttons und falschen Bärten – was so alles in ,Hippie-Shops‘ verkauft wurde. Doch mit diesem Abgesang konnte noch keiner ahnen, wie tief sich die Spuren der Hippie-Bewegung ins kollektive Bewusstsein gegraben hatten, wie nachhaltig sich ihre Ideen, wie entwicklungsfähig sich viele ihrer soziokulturellen und alternativen Ansätze erweisen würden…“ Wie das vor 50 Jahren war, schildert Peter Frömmig in seinen Erinnerungen an den Summer of Love von 1967. Sein Essay Vom Höhepunkt und Niedergang der Hippie-Bewegung ist nur zu empfehlen.
Johann Lippet, Abdelwahed Souayah, Traian Pop Traian, Liviu Tulbure (Bilder aus der Reihe „Memorial ’89“), Peter Vougar Aslanov (mit einer historischen Prosa über den Roten Oktober 1917), Michael Hillen, Ulrich Bergmann (diesmal mit grafischen „Texten“) und Ngo Nguyen Dung bestücken unsere Rubriken „Atelier“ und „Zeitgeschichte“.
Aus unserem Bücherregal haben wir diesmal Titel von Harald Gröhler (Eine Selbstmörderin), Dennis Mizioch (Thermoplastische Texte), Michael Hillen (Wundbilder), Florian Günther (Genug Zeit zu verlieren. Neue Fotos, gebrauchte Gedichte), Iris Wolff (So tun, als ob es regnet) und Wsewolod Nekrassow (Ich lebe ich sehe) sowie aus dem Marbacher Katalog 69 (Rilke und Russland) ausgewählt. Barbara Zeizinger, Ulrich Bergmann, Helwig Brunner, Rainer Wedler, Uli Rothfuss und Wolfgang Schlott zeichnen die Buchbesprechungen.
Die nächste Ausgabe kommt ein bisschen spät, aber bald: mit vielen Texten aus Rumänien – als kleine Kostprobe zur Leipziger Buchmesse, bei der 2018 rumänische Autoren auf der Hauptbühne agieren.
Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr wünschen Ihnen die Autoren und Redakteure von MATRIX!
Herzlich,
Traian Pop
Es signiert:
• Klaus Martens • Margaret Atwood • Kito Lorenc • Elke Erb • Benedikt Dyrlich • Guram Assatiani • Johann Lippet • Abdelwahed Souayah• Peter Frömmig • Vom Höhepunkt und Niedergang der Hippie-Bewegung• Anna Letodiani • Traian Pop Traian • Michael Hillen • Liviu Tulbure• Vougar Aslanov • Ulrich Bergmann • Ngo Nguyen Dung • Helwig Brunner • Barbara Zeizinger • Uli Rothfuss • Wolfgang Schlott • Rainer Wedler •
Editorial / S.4
Die Welt und ihre Dichter
Klaus Martens • Repräsentierende Prosa / Militante Lyrik . Margaret Atwood. Ein subjektiver Überblick / S. 7
• Modernisierer sorbischer und deutscher Literatur •
Benedikt Dyrlich • In Erinnerung an den Dichter Kito Lorenc . Modernisierer sorbischer und deutscher Literatur / S. 17
Kito Lorenc • Acht Gedichte / S. 21
Elke Erb • Durch lauter gleich Frühnebeln schleiernde Hüllen / S. 30
• So liebte man in Georgien •
Anna Letodiani • Guram Assatiani – Forscher des georgischen Charakters / S. 39
Guram Assatiani • So liebte man in Georgien / S. 47
Johann Lippet • Die Heiratsanzeige . Lebensläufe . Schriftsteller/Schriftstellerinnen . Prosa / S. 75
Abdelwahed Souayah • Vier Gedichte / S. 84
Zeitgeschichte
Peter Frömmig • Vom Höhepunkt und Niedergang der Hippie-Bewegung / S. 93
Traian Pop Traian • Sieben Gedichte / S. 101
Liviu Tulbure • Vier Bilder aus der Reihe Memorial ’89 / S. 103
Vougar Aslanov • Es ging nicht anders . Historische Erzählung / S. 115
Atelier
Peter Frömmig • Neue Gedichte (2017) / S. 151
Michael Hillen • Zehn Gedichte / S. 159
Ulrich Bergmann • Innenansicht der Äußern Werte . grafische ‚Texte‘ / S. 169
Ngo Nguyen Dung • Schnee in meinen farblosen Träumen . Prosa / S. 177
Bücherregal
Barbara Zeizinger • Harald Gröhler, Eine Selbstmörderin / Samobójczyni. / S.187
Ulrich Bergmann • Thermoplastische Texte . Gebrauchsanweisung zum Verständnis gegenwärtiger Dichtung am Beispiel von „istanbul. eine matrjoschka“ von Dennis Mizioch / S.189
Helwig Brunner • Michael Hillen, Wundbilder./ S.192
Rainer Wedler • Marbacher Katalog 69 | Rilke und Russland. / S.196
Ulrich Bergmann • Florian Günther, Genung Zeit zu verlieren. Neue Fotos, gebrauchte Gedichte. / S. 198
Uli Rothfuss • Iris Wolff, So tun, als ob es regnet. / S.201
Wolfgang Schlott • Wsewolod Nekrassow, Ich lebe ich sehe. / S.203