Normalerweise werden unterschiedliche literarische Ansichten bzw. Standpunkte in – meist öffentlichen – Polemiken behauptet und diskutiert. Normalerweise. Weil es auch Autoren bzw. Rezipienten gibt, die jede von ihrer eigenen abweichende Meinung als Kriegserklärung verstehen und entsprechend reagieren.
Dass zwischen Polemik und Pamphlet ein gewaltiger Unterschied besteht, liegt auf der Hand.
Doch es hat Zeiten gegeben – und ich meine damit keineswegs die gute alte Zeit! –, als sich Polemiken und Pamphlete noch an ungeschriebene Konventionen, sprich: Manieren, gehalten haben. Solche Debatten um der Sache willen begannen allerdings zu verschwinden, als einige Kombattanten die Claqueure für sich entdeckten und deren Ovationen zu wahren Ehrentiteln machten: Keine Ahnung – davon aber jede Menge …
Was anfangs eine Art Revolte oder besser gesagt Bravourstück war, zeigte aber eher über kurz als über lang seine Folgen: Stück für Stück wurden die meisten Prinzipien des Fairplay demontiert. Heutige Kämpfe zwischen Streithähnen kennen anscheinend nicht einmal die Boxregeln – sie beachten überhaupt keine Regeln mehr. Die Trivialität des Diskurses scheint kaum mehr Wert als der Euro zu haben – wobei ich mich nicht auf die Auseinandersetzungen unserer Volksvertreter im Bundestag oder auf irgendeine Talkrunde im Fernsehen beziehe. Es geht mir um literarische Dispute. Und um den blinden Hass, mit dem einige Kombattanten andere – und damit zwangsläufig auch sich selbst – diskreditieren.
Traurig, traurig, denke ich, während mir klar wird, welches Albtraum-Szenario ich hier in Gedanken entwerfe. Ein Szenario, das in Zeiten, wo alle Welt in Container guckt und den Superstar bzw. den Dschungelkönig sucht, wohl immer noch eher auf Reality-Soaps und Casting-Shows zutrifft – oder etwa nicht?
„Wie in einem Film noir holt die Dichterin das Verborgene ans Licht und beleuchtet für einen kurzen Augenblick die geschlossene Gesellschaft der kaputten Existenzen, bevor sie wieder in der Finsternis der siebten Provinz versinken.“ Mit Urszula Usakowska-Wolffs Einführung ins außergewöhnliche Werk von Genowefa Jakubowska-Fijalkowska eröffnen wir diese Ausgabe, in der die polnische Schriftstellerin und Künstlerin auch Schwerpunkt ist. Wir laden Sie herzlich ein, nicht nur an einem „Fest der Dichtung“ teilzunehmen, sondern auch an einer offenen Diskussion über Poesie und Biografie, über Norm, Pathologie und Mythologie, über Schreiben in der Provinz und Fernreisen als Fluchten vor sich selbst (siehe Interview ab Seite 21). Ein Blick in die Ausstellung „Fotos sind mein Gedächtnis“ rundet unsere Begegnung mit einer hochoriginellen europäischen Stimme ab.
Bei unserem „Fest der Dichtung“ geht es danach weiter mit Billy Collins, einem Autor aus den USA, der 1994 von der renommierten Zeitschrift „Poetry“ zum Dichter des Jahres gekürt wurde, von 2001 bis 2003 als Poet Laureate der Vereinigten Staaten amtierte und in seinem Heimatstaat New York zum „Literary Lion“ und „Staatsdichter“ aufrückte. Lesen Sie einige seiner Texte sowie die eindringlichen Kommentare seiner Übersetzerin ins Deutsche, Stefanie Golisch. Außerdem können Sie bei unserem Besuch der internationalen Literaturszene dem bekanntesten albanischen Dichter aus Skopje in Mazedonien, Kalosh Çeliku, sowie Tekgül Ari, einer Schriftstellerin aus Ankara, begegnen.
Jutta Dornheim unternimmt einen „Versuch der Annäherung an einen unnahbar Gewordenen – statt eines Nachrufs auf Arno Lustiger“, und der Berliner Reiner David rekonstruiert anhand der Akten seine Geschichte in der DDR unter dem Motto: „Das Leben schreibt die besten Storys“.
Im Weitwinkel der Gegenwartsliteratur werden diesmal Werke von Michael Hillen, Eje Winter, Vesna Lubina, Peter Ettl, Peter Frömmig, Norbert Sternmut, Hellmut Seiler, Rainer Wedler, Herwig Haupt, Katerina Poladjan, Ingrid Leibhammer sowie unserer Debütantin Anke Meyring fokussiert. Matthias Hagedorns Essay über das neue Gedichtbuch von Theo Breuer sowie die Buchbesprechungen von Wolfgang Schlott und Rainer Wedler bieten wertvolle Fingerzeige.
Anlässlich seines 20-jährigen Bestehens bot das Ludwig Museum Koblenz eine Reihe ansprechender, breit gefächerter Kunstveranstaltungen. Francisca Ricinski hat für uns „TheatronToKosmo im Dialog mit Werken von Anselm Kiefer“ besucht. Und Urszula Usakowska-Wolffs Kunstparkett bringt einen ausführlichen Kommentar zu Frank Stellas „Retrospektive“ im Kunstmuseum Wolfsburg.
Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel Vergnügen!
Traian Pop
Es signiert:
• Vesna Lubina • Norbert Sternmut • Helmut Seiler • Michael Hillen • Billy Colins •
• Francisca Ricinski-Marienfeld • Katerina Poladjan • Ingrid Leibhammer • Peter Ettl • Herwig Haupt • Reiner Wedler • Peter Frömmig • Kalosh Celiku • Jutta Dornheim
• Stefanie Golisch• Reiner David • Christine Kappe • Tekgül Ari • Matthias Hagedorn • Traian Pop • Wolfgang Schlott • Urszula Usakowska-Wolff •